Jacinda Ardern ist Premierministerin von Neuseeland und seit 2017 Parteivorsitzende der sozialdemokratischen Partei. In den Tagen nach dem rechtsextremen Terroranschlag von Christchurch beweist sie Stärke und drückt den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus. Sie gibt der Trauer und dem Schmerz einer ganzen Nation ein Gesicht. So auch in ihrer Rede vor dem Parlament am 19. März 2019.

Herr Vorsitzender!

Al salam Alaikum. Friede sei mit dir. Und Friede sei mit uns allen.

Herr Vorsitzender, der 15. März wird nun für immer ein Tag in unserem kollektiven Gedächtnis sein. An einem ruhigen Freitagnachmittag stürmte ein Mann in einen Ort des friedlichen Gebets und nahm 50 Menschen das Leben. Dieser ruhige Freitagnachmittag ist zu einem unserer dunkelsten Tagen geworden.

Aber für die betroffenen Familien war es mehr als das. Es war der Tag, an dem der einfache Akt des Gebets – die Ausübung des muslimischen Glaubens und Religion – zum Verlust der Leben der eigenen Familienmitglieder und Angehörigen führte. Diese Angehörigen waren Brüder, Töchter, Väter und Kinder. Sie waren Neuseeländer. Sie sind wir.

Und weil sie wir sind, trauern wir als Nation um  sie. Wir fühlen uns ihnen gegenüber verpflichtet. Und Herr Vorsitzender, es ist uns ein innerstes Bedürfnis zu zeigen. wie wichtig sie uns sind. Eine der Rollen, die ich nie erwartete und hoffte, dass sie mir zu teil wird, ist es, den Kummer einer ganzen Nation ausdrücken zu müssen. Aber wichtiger noch ist es, sicherzustellen, dass wir uns um die Betroffenen kümmern und die Sicherheit Aller garantiert ist. Und in dieser Rolle wollte ich mich direkt an die Familien wenden.

Eure Trauer ist unvorstellbar für uns, aber wir möchten euch auf jedem Schritt dieses Weges begleiten. Wir möchten das. Und wir werden euch mit Aroha (Māori für Liebe), Manaakitanga (Rückhalt) und allem umgeben, was uns zu uns macht. Unser Herz ist schwer, aber unser Geist ist stark.

Herr Vorsitzender, 6 Minuten nach einem Anruf, der die Polizei auf die Schießereien in der Al-Noor-Moschee aufmerksam gemacht hatte, war die Polizei am Tatort. Die Verhaftung selbst war nichts weniger als ein Akt der Tapferkeit. Zwei Landpolizisten rammten das Fahrzeug, aus dem der Täter noch geschossen hat. Sie öffneten seine Autotür, als sich Sprengstoff darin befand, und zogen ihn heraus.

Ich weiß, dass wir alle anerkennen, dass die Polizei mit ihren Taten die Sicherheit der Neuseeländer über ihre Eigene gestellt hat. Und wir danken ihnen dafür. Aber sie waren nicht die Einzigen, die außergewöhnlichen Mut gezeigt haben.

Naeem Rashid, ursprünglich aus Pakistan, starb, nachdem er auf den Terroristen gestürmt ist und versucht hatte, ihm die Waffe zu entreißen. Er verlor sein Leben als er versuchte, die zu retten, die neben ihm beteten.

Abdul Aziz, ursprünglich aus Afghanistan, stellte sich dem bewaffneten Terroristen gegenüber – nur mit einem nächstgelegenen Gegenstand bewaffnet, den er gefunden hatte – eine einfache Kreditkarten-Maschine. Er riskierte sein Leben und rettete zweifellos viele mit seinem selbstlosen Mut.

Es wird unzählige Geschichten geben, von denen wir einige vielleicht nie erfahren werden. Aber wir möchten ihnen allen sagen: Hier an diesem Ort, in diesem Haus, würdigen wir jede einzelne.

Das Ausmaß wurde vielen von uns erst bewusst als wird die Bilder der Rettungskräfte sahen, wie sie die Opfer ins Krankenhaus von Christchurch brachten.

An die Ersthelfer, das Rettungspersonal und die Angehörigen der Gesundheitsberufe, die geholfen haben und weiterhin helfen: Bitte nehmen Sie den herzlichen Dank von uns allen entgegen. Ich habe Ihre Fürsorge und Ihre Professionalität vor dieser schweren und außergewöhnlichen Herausforderung mit eigenen Augen gesehen. Wir sind stolz auf Ihre Arbeit und unglaublich dankbar.

Herr Vorsitzender, wenn Sie gestatten, würde ich gerne über einige der Sofortmaßnahmen sprechen, die insbesondere zur Gewährleistung der Sicherheit unserer muslimischen Gemeinschaft und allgemeiner zur Gewährleistung der Sicherheit aller gelten. Als Nation bleiben wir in höchster Alarmbereitschaft. Derzeit gibt es keine spezifische Bedrohung, aber wir bleiben wachsam. Leider haben wir in Ländern, die die Schrecken des Terrorismus besser kennen als wir, gesehen, dass es in den folgenden Wochen ein Muster zunehmender Spannungen und Handlungen gibt, was bedeutet, dass wir sicherstellen müssen, dass wir stets wachsam bleiben.

In Christchurch gibt es eine zusätzliche und fortlaufende Sicherheitspräsenz. Wie die Polizei bereits angedeutet hat, wird die Polizei in Moscheen im ganzen Land präsent sein, solange ihre Türen geöffnet sind. Wenn sie geschlossen sind, befindet sich die Polizei in der Nähe.

Es wird ein großer Fokus darauf gelegt, die Bedürfnisse der Familien sicherzustellen. Das muss unsere Priorität sein. In der Nähe des Krankenhauses in Christchurch wurde ein Gemeindezentrum eingerichtet, um sicherzustellen, dass die Leute wissen, wie sie auf Unterstützung zugreifen können.

Visa für Familienmitglieder im Ausland werden priorisiert, damit sie an Begräbnissen teilnehmen können. Die Begräbniskosten sind gedeckt, und wir haben schnell reagiert, um sicherzustellen, dass auch die anfallenden Kosten gedeckt sind, falls Angehörige ihre Verstorbenen außer Landes bringen möchten.

Wir arbeiten daran, psychische und soziale Unterstützung zu bieten. Die Nummer 1737 erhielt gestern rund 600 SMS-Nachrichten und Anrufe. Sie dauern im Durchschnitt etwa 40 Minuten und ich empfehle jedem Betroffenen, diese Dienste in Anspruch zu nehmen. Wir sind für Sie da.

Unser Sprachendienst hat auch Unterstützung von mehr als 5.000 Kontakten zur Verfügung gestellt, um sicherzustellen, dass Sie die soziale Unterstützung in Ihrer gewünschten Sprache erhalten. Wir danken allen, die an diesem Service arbeiten.

Unsere Sicherheits- und Nachrichtendienste erhalten laufend neue Informationen. Wie schon in der Vergangenheit werden diese äußerst ernst genommen und weiterverfolgt.

Ich weiß zwar, Herr Vorsitzender, dass es zu Recht Fragen gab, wie das alles hier geschehen konnte. An einem Ort, der stolz darauf ist, offen, friedlich und vielfältig zu sein. Und es gibt Wut, dass es hier passiert ist. Es gibt viele Fragen, die beantwortet werden müssen. Und ich versichere Ihnen, dass wir das auch tun werden.

Das Kabinett hat gestern zugestimmt, dass die Vorfälle untersucht werden, die zu dem Angriff am 15. März geführt haben. Wir werden prüfen, was wir wussten, hätten wissen können oder wissen sollen. Wir können nicht zulassen, dass so etwas erneut geschieht.

Zur Gewährleistung der Sicherheit der Neuseeländer gehört auch eine offene Prüfung unserer Waffengesetze. Wie ich bereits gesagt habe, werden sich unsere Waffengesetze ändern. Das Kabinett traf sich gestern und traf 72 Stunden nach dem Angriff grundsätzliche Entscheidungen. Bevor wir uns am nächsten Montag wieder treffen, werden diese Entscheidungen bekannt gegeben.

Herr Vorsitzender, es gibt eine Person, die im Zentrum dieses Terroranschlags gegen unsere muslimische Community in Neuseeland steht. Ein 28-jähriger Mann, ein australischer Staatsbürger, wurde wegen Mordes angeklagt, weitere Anklagen werden folgen. Er wird die volle Härte unserer Gesetze in Neuseeland zu spüren bekommen. Die Familien der Ermordeten werden Gerechtigkeit erfahren. Der Täter hat mit seinem Terrorakt mehrere Ziele verfolgt. Eines davon war, berühmt zu werden. Und das ist, warum Sie niemals seinen Namen aus meinem Mund hören werden. Er ist ein Terrorist. Er ist ein Verbrecher. Er ist ein Extremist. Aber er wird, wenn ich spreche, namenlos bleiben. Ich appelliere an Sie alle: Nennen Sie die Namen der Opfer. Nicht den Namen jenes Mannes, der ihnen das Leben geraubt hat. Er wollte zur Legende werden. Aber wir in Neuseeland werden ihm nichts geben. Nicht einmal seinen Namen.

Herr Vorsitzender, wir werden uns auch mit der Rolle der sozialen Medien befassen und welche Schritte wir unternehmen können, auch auf internationaler Ebene und im Einklang mit unseren Partnern. Es ist keine Frage, dass Ideen und Sprache der Spaltung und des Hasses seit Jahrzehnten existieren. Aber ihre Verbreitung, wie sie geordnet und organisiert wird sind neu.

Wir können uns nicht zurücklehnen und akzeptieren, dass diese Plattformen nur existieren und das, was auf ihnen gesagt wird, nicht in ihrer Verantwortung liegt – obwohl es dort veröffentlicht wird. Sie sind der Herausgeber. Nicht nur der Postbote. Es kann nicht sein, dass sie nur den Profit einstreichen, aber keine Haftung übernehmen. Dies entlässt uns natürlich nicht aus der Verantwortung, die wir als Nation zeigen müssen, um Rassismus, Gewalt und Extremismus zu bekämpfen. Ich habe nicht alle Antworten, aber wir müssen sie gemeinsam finden. Und wir müssen handeln.

Herr Vorsitzender, wir sind zutiefst dankbar für alle Bekundungen von Mitgefühl, Unterstützung und Solidarität, die wir von unseren Freunden auf der ganzen Welt erhalten. Wir sind dankbar für die globale muslimische Gemeinschaft, die zu uns gehalten hat. Und wir stehen zu ihr.

Herr Vorsitzender, ich möchte betonen, dass wir mit Christchurch stehen in diesem verheerenden Schicksalsschlag. Dieses Einstehen wird helfen, Wunden zu heilen. Ich möchte jedes Mitglied dieses Hauses positiv erwähnen, das zu seiner muslimischen Gemeinschaft gestanden hat und es tut, vor allem aber diejenigen in Canterbury, deren Kummer am Größten ist.

Abschließend erkläre ich, dass es viele Geschichten gibt, die uns alle seit dem 15. März betroffen gemacht haben. Eine möchte ich erwähnen. Jene von Hati Mohemmed Daoud Nabi. Er war der 71-jährige Mann, der die Tür der Al-Noor-Moschee öffnete und die Worte „Hallo Bruder, willkommen“ aussprach. Seine letzten Worte. Natürlich hatte er keine Ahnung von dem Hass, der hinter der Tür lauerte, aber sein Empfang sagt uns so viel: Dass er Mitglied eines Glaubens war, der alle seine Mitglieder begrüßte, der Offenheit und Fürsorge zeigte.

Ich habe es oft gesagt, Herr Vorsitzender, wir sind eine Nation von 200 Ethnien und 160 Sprachen. Wir öffnen unsere Türen für andere und heißen sie willkommen. Und das einzige, was sich nach den Ereignissen vom Freitag ändern muss, ist, dass diese Tür allen, die Hass und Angst befürworten, verschlossen bleiben muss. Ja, die Person, die diese Taten begangen hat, war nicht von hier. Er wurde hier nicht erzogen. Er fand nicht hier zu seiner Ideologie. Aber das heißt nicht, dass es diese Ansichten nicht hier bei uns genauso gibt.

Ich weiß, dass wir als Nation unserer muslimischen Gemeinschaft in dieser dunkelsten Zeit jeden erdenklichen Trost bieten wollen. Und das tun wir. Die vielen Blumen im ganzen Land, die vor den Türen der Moscheen liegen. Das spontane Lied vor ihren Toren. Dies sind Möglichkeiten, um unsere Liebe und unser Mitgefühl auszudrücken. Wir möchten aber noch mehr tun. Wir möchten, dass sich jedes Mitglied unserer Gemeinschaften sich sicher fühlt.

Sicherheit bedeutet, frei von Angst und Gewalt zu sein. Es bedeutet aber auch, frei von Angst vor Rassismus und Hass zu sein. Denn diese schaffen einen Ort, der Gewalt gedeihen lässt. Und jeder Einzelne von uns hat die Macht, das zu ändern.

Herr Vorsitzender! Am Freitag wird  eine Woche seit dem Angriff vergangen sein. Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft werden sich an diesem Tag zum Gebet versammeln. Erkennen wir dabei ihre Trauer an. Unterstützen wir sie dabei, wenn sie sich erneut zum Gebet versammeln.

Wir sind eins, sie sind wir. Tatau tātau (Māori: Sie sind wir). Al salam Alaikum (Arabisch: Friede sei mit euch) Weh Rahmat Allah. Weh Barakaatuh. (Arabisch: Möge der Friede, die Gnade und der Segen mit euch sein).